Über den Maler

Ernst-Ferdinand Wondrusch war, als ich ihn vor rund zehn Jahren erstmals in einer Personale in der„Galerie in der Blutgasse“ präsentierte, so etwas wie ein „Senkrechtstarter“.

Über den Maler

Ernst-Ferdinand Wondrusch war, als ich ihn vor rund zehn Jahren erstmals in einer Personale in der„Galerie in der Blutgasse“ präsentierte, so etwas wie ein „Senkrechtstarter“.

Ernst Ferdinand Wondrusch war, als ich ihn vor rund zehn Jahren erstmals in einer Personale in der „Galerie in der Blutgasse“ präsentierte, so etwas wie ein „Senkrechtstarter“. Noch vor der Eröffnung waren alle Exponate verkauft. Großes Talent wurde ihm auch von der Presse bescheinigt.

Er brach wie ein Sturmwind in die damals von abstrakten intellektualistischen Tendenzen dominierte Wiener Kunstszene ein mit seinen Handlungsbildern, die so gegenständlich lesbar aussahen. Dabei war er – und noch heute bekennt er sich dazu – ein Kind eben dieser Abstrakten. Aber ein neugieriges und vom bloßen Spannungs- und Ordnungsgefüge der Fläche nicht befriedigtes, das seine Botschaften auch noch in einer anderen als bloß der Sprache der malerischen Mittel lesbar oder wenigstens besser deutbar machen wollte.

Diese bestimmenden Komponenten seines malerischen Bemühens hat er nie aufgegeben: diese abstrakt fundierte Gegenständlichkeit – und das Öl als gefügigstes Transportmittel seines Wollens.

Ernst Ferdinand Wondrusch, geboren 1949 in Fünfhaus, ist, meine ich, so gesehen ein konservativer Maler. Der jeweiligen Kunstmode gegenüber blieb er ebenso misstrauisch wie dem Acryl gegenüber. Dass ich ihn allerdings heute mit etwas mehr Hoffnung gehört zu werden als vor zwanzig Jahren modern nennen kann, hat mit der Rückbesinnung der internationalen Kunstszene auf die tradierten Werte der Kunst zu tun (und zu diesen tradierten Werten gehören selbstverständlich auch die eroberten Werte der jüngeren und jüngsten Kunstgeschichte, die tiefen Erkenntnisse einer „abstrakten Weltsprache“ von Kandinsky bis zu Yves Kleins Monochromie ebenso wie die Fegefeuer des Informel und die Kargheit der Concept-Art) und weniger mit Wondrusch`s eigener Entwicklung. Der Gegenstand als Mittel der sagbaren Verständigung mit den „Vielen“ oder wenigstens den „Mehreren“ ist wieder ein Grund ernsthafter Diskussion, die Realismusdebatte ist in vollem Gange, und malerische Qualitäten, Valeurs, Strich, Kolorit sind nicht mehr entbehrliche Zutaten zum reinen Bild wie noch in den Siebzigerjahren. Wondrusch könnte heute einem breiteren Publikum als der Künstler gelten, als den ich ihn in den Sechzigerjahren schon geschätzt habe.

Freilich hat er eine Entwicklung genommen. Es wäre ein böses Urteil, von einem knapp über Dreißigjährigen die endgültige Erstarrtheit zu erwarten, die nur Denkmälern zukommt. Eine Entwicklung, die Verknappung und Vereinfachung bringt, eine Entwicklung, die nichts mehr dem Zufall überlässt. Hat er früher jener Anregungen bedurft, die ein Leonardo da Vinci in den Strukturen der Marmorplatte des Schanktisches seines Vaters fand, indem er, Wondrusch, den Malgrund zerkratze und aus den Signalen des Unbewussten Botschaften an alle destillierte, so lässt er sich heute durch die unreflektierten Botschaften aller – der Spaziergänger, der Schaulustigen, der Eilenden oder der Verweilenden – anregen und hält mehr und mehr diese zufälligen Begebenheiten mit der Kamera fest. Der Output – malerischer denn je – beschränkt sich auf die offensichtlichen Situationen, denen in seinen Augen genügend Hintergründigkeit innewohnt, als dass es zusätzlicher erläuternder – oder verschleiernder – symbolhafter Signale und Zeichen bedürfte. Insofern rechnet Ernst-Ferdinand Wondrusch auch mit einer Entwicklung des Betrachters, dem er – insoferne ganz Humanist, ja Positivist – die Dominanz des Rationalen über das bloß kreatürliche Getriebensein zuerkennt.

Die inhaltliche Spannung seiner Arbeiten liegt aber gerade darin, dass er, bei allem Anspruch an die Entscheidungsfähigkeit des Menschen zum Klaren, Logischen, mit Hilfe kühler Diagnostik eben die Situationen abbildet, die den Menschen in seiner Wirrnis, Verlassenheit, in seinem Ausgesetzt sein zeigen. Bei aller Verwendung des Zufälligen und Zeichenhaften seiner frühen Bilder blieb er aber schon als Zwanzigjähriger dieser Botschaft treu. Nur hat er die Extremsituationen verlassen, ihm bietet sich das Extreme menschlicher Existenz, das Unbegreifliche und Groteske, das A- und Prälogische heute noch krasser in der Normalsituation einer Straßenszene dar. Es geht aber noch immer um den Menschen in seiner Isolation, um Kontaktschwierigkeit, um ausgestoßen sein.

Da er diese Verlassenheit heute anhand des täglichen Geschehens darstellt, am Aneinandervorbeigehen und am Auseinenderleben, wirkt die Botschaft noch unvermittelter und nachvollziehbarer. Nachdenkbilder sollen seine Werke sein, Anstöße! Wondrusch, ein Moralist. Er handelt den Wärmeverlust der Menschen und ihrer Erde ab. Und die Folgewirkungen: die Sprachlosigkeit, den Farbverlust, die Totenstille.

Seine Bilder sind Berichte des Lebens, knapp vor einer neuen Eiszeit, und insofern sind sie Edward Hoppers amerikanischen Landschaften des Verlustes der Beziehungen der Menschen zueinander und ihres Herausfallens aus der gewordenen Natur in ein Streckbett der technisierten Mache verwandt.

Vielleicht verwandter, als er es selbst gerne hört. Bei der Beurteilung der Genese ist er freilich vorsichtiger, menschenfreundlicher geworden. Hat er vor mehr als zehn Jahren noch über den Menschen den Stab gebrochen – er wäre selbst schuld und hätte die Verantwortung als jeweils einzelner zu tragen und das Urteil lautete lebenslange Isolation – so ist die Wärme, die seine Bilder trotz der abgebildeten Kälte ausstrahlen, die des Mögens. Wondrusch mag die Menschen. Doch hat er kein Mitleid. Er zeigt schonungslos die Verstrickung des Menschen in die Technik auf. Aber er verurteilt nicht mehr dafür. Vor zehn Jahren habe ich anläßlich einer Ausstellung neuer Realisten in Graz über ihn geschrieben:

„Erst Ferdinand Wondrusch hat den Menschen als Marionette seines selbstgeschaffenen zivilisatorischen Räderwerks begriffen und dargestellt. Die Menschen in Extremsituationen, bei der Verrichtung ihrer Notdurft, eingespannt in das technische Gestänge, absolut isoliert. Zellwesen, Zellenwesen, Gefangene ihrer Selbst. Oder: eine Fußballmanschaft, die hirn- und gesichtslos ein rituelles Aggressionsspiel nach sonderbar unverständlichen Mustern abspielt und abspult. Oder: der große fette Popanz, der an der Spitze der Pyramide sitzt und um den die Unter-Menschen wie am Fließband, angeschweißt, agieren. Monoton. Maschinenwesen. Cyborgs. Die entmenschte Welt des Menschen, der das falsche Bezugssystem erwischt hat. Den es erwischt hat.“

Den Menschen hat es immer noch erwischt. Heute in den Bildern, die Gruppe von ihnen vor einem versunkenen, einem versinkenden Schiff zeigt: der Himmel unbewegt blau, das Meer erstarrt graublau, der Strand wie ausgebrannt schwarzblau. Die Menschen erfrorene Silhouetten. Sie schauen, ohne Beziehung zueinander, vielleicht ohne zu sehen. Ein Schiff geht oder ging unter, es war ihres oder vielleicht auch nicht, es spielt keine Rolle, die Dinge haben ohnehin nicht mehr miteinander zu tun und die Menschen sind wie die Dinge.

Er malt in Serien. In allen möglichen Varianten. Um immer schärfer zu sehen und zu zeigen. Von Mal zu Mal kühlen die Natur und ihre Beobachter am Strand mehr aus. Eiszeit. Endzeit. Wenn es eine Schuld gibt, dann die, dieses Bezugssystem gewählt zu haben – und Freiheit heißt Wahlfreiheit. Denn das Bezugssystem ändert den Menschen, der es wählt. In keinem System gibt es Einbahnstraßen. Ernst Ferdinand Wondrusch ist ein Diagnostiker mit den Mitteln der „expressiven Tradition existenziell engagierter Kunst“ und ein Moralist der immer unprätentiöser wird. Als er an einem Totpunkt seiner Entwicklung stand – verursacht durch schonungslose kommerzielle Ausbeutung des jungen Talents – hörte er einfach auf zu malen. In den fünf Jahren einer Puppenstarre hat sich seine innere Struktur gewandelt, alle Unebenheiten der Raupe abgestoßen, um die Imago werden zu lassen, wie er heute ist: einfach und ärmer in einem sinn von Bescheidenheit.

Den eigenen Weg freilich hat er schon zu Zeiten bewiesen, als das, was er malte, nicht gefragt war. Die Unbekümmertheit um das gerade Modische und die Hellhörigkeit sich selbst und seinen Mitmenschen gegenüber, an der er unverrückbar festhält, tun dem Werk gut. Auch wenn das, was er damals malte und heute malt, zur Zeit einen aufnahmebereiteren Kunstmarkt und Kritikergeist finden dürfte als zu Beginn seiner malerischen Bemühungen. Ich bin sicher, dass ihn auch die Gunst des Zeitgeistes nicht von sich weg verführen wird können.

Prof. Otto Staininger
Direktor Künstlerhaus Wien, Wien 1982