Ordnung & Chaos

Innerhalb der österreichischen Kunstszene ist Ernst-Ferdinand Wondrusch nicht leicht einzuordnen. Er teilt das Schicksal mit jenen wenigen Künstlern, die dennoch überleben konnten, sich aber geweigert haben, diesen expressiven, expressionistischen Grundgedanken einer Ausdruckskunst, die in der K.u.K.-Monarchie und auch in der Republik danach so sehr gepflegt wurde, anzunehmen.

Ordnung & Chaos

Innerhalb der österreichischen Kunstszene ist Ernst-Ferdinand Wondrusch nicht leicht einzuordnen. Er teilt das Schicksal mit jenen wenigen Künstlern, die dennoch überleben konnten, sich aber geweigert haben, diesen expressiven, expressionistischen Grundgedanken einer Ausdruckskunst, die in der K.u.K.-Monarchie und auch in der Republik danach so sehr gepflegt wurde, anzunehmen.

Innerhalb der österreichischen Kunstszene ist Ernst-Ferdinand Wondrusch nicht leicht einzuordnen. Er teilt das Schicksal mit jenen wenigen Künstlern, die dennoch überleben konnten, sich aber geweigert haben, diesen expressiven, expressionistischen Grundgedanken einer Ausdruckskunst, die in der K.u.K.-Monarchie und auch in der Republik danach so sehr gepflegt wurde, anzunehmen. Von Schiele bis zu den Neuen Wilden, bis zur einfach guten Malerei, herrscht das Menschliche vor; Anthropos ist zentral. Der Sedimayersche vorwurfsvolle und anklagende Gedanke einer Kunst ohne Mitte ist nicht ernsthaft verfolgt worden. Die Abstraktion ist als linkslastig und antibürgerlich aus der offiziellen Lesart ausgenommen worden. Dieses Kunstwollen ist, wenn wir einem Begriff von Alois Riegel aus seinem Buch zur spätrömischen Kunstindustrie von 1904 (gedruckt in Wien) folgen und auch der Lesart von Kunst durch Sigmund Freud und anderen, so erkennen wir, dass die Nischen des Intellekts als ein Kunst definierender Faktor in tu felix Austria selten sind, sozusagen die Ausnahme. Wenn wir in der österreichischen Kunst zurückdenken an theoretisierende, intellektualisierende Künstler, so finden wir sie in der Musik bei Schönberg, aber nicht in seiner Malerei, bei Adolf Loos als Architekten, bei dem einen oder anderen, der hier nicht zitiert wird, aber immer nur bei den Ausnahmen. Eigentlich sind es immer jene Künstler gewesen, die nicht ihre eigene Biografie, ihr Ego, ihre Nöte und Bedrängnisse darstellten, die die Gesellschaft verdrängte.

Wondrusch verfolgt zwei Themen: das Chaos und die Ordnung, d.h. Chaos und Ordnung und dann als letzter Teil die Ordnung. Er bemüht ein dualistisches Urprinzip, wie er selbst schreibt. Er sucht einen Wirkungsbereich mit zwei Extremen. Wir können sie auch Pole nennen, die sich ausbalancieren. Im Bild selbst sind These und Antithese gemeinsam verankert. Sie werden geordnet und so lange reduziert, bis die bestmögliche Lösung entsteht. Der Künstler kreiert für uns Spielplätze, auf denen die Argumentation der Zwischenwerte geliebt und befolgt wird. Dahinter stehen auch kosmologische Gedanken, Weltall-Visionen, theologische Einordnungen vielleicht, nicht aber teleologische, wir folgen wieder Alois Riegels Vorstellungen vom Kunstwollen, weil der Künstler die deterministischen Hintergründe für sich selbst und somit auch für seine Bilder negiert. Für ihn sind Zufall und Ordnung wesentliche Bestandteile natürlicher Prozesse. Wondrusch ist ein ernsthafter Bemüher von Bildern — einer, der seine Bildvorstellungen Raum greifen lässt. In seiner Malerei spielt der Zufall eine dominante Rolle. Vielleicht bricht der Österreicher durch, der Spieler. Der Zufall entsteht durch die großen Pinsel, mit denen Farbe aufgebracht wird oder auch mit Stahlkugeln, die sich in seriellen Strömungen selbstmalender Bilder — Kugelbilder zeigen, in denen die gerade ordnende Linie, was immer sie bedeutet als Kontrapunkt, wesentliche Voraussetzungen für die Bild-Schöpfung werden. Der Prozess ist ablesbar.

Dabei bleibt Wondrusch ein emotionaler Künstler, jemand der nicht theoretisch vorgeht. Genauso wie er malt, entdeckt und liebt er die visuellen Überraschungen. Er korrigiert oder steigert und verändert sie. Er fühlt sich auch hingezogen, über das optische Resultat nachzudenken, ohne präzise Sätze zu bilden, denn seine Argumente entwachsen als Bildsprache einer visuellen Grammatik. Chaos und Ordnung finden sich in den Texten wieder, in den roten und schwarzen Gegenüberstellungen, in denen das Faktische der Physik und der physischen Obliegenheit wie Eisenoxyde, roter Ocker, roter Bolus usw., also die ältesten Rotfarben, den neuen Rotfarben gegenüber gesetzt werden, die ältesten Schwarztöne den neuen Schwarztönen von Kienruß, Acetylenruß, Lampenruß usw.

Schon in dieser schriftlichen gegensätzlichen Positionierung der Begriffe auf einem Papierblatt entsteht eine Spannung durch Gegenübersetzung, entwickeln sich beim Lesen Emotionen, die in der wissentlichen Erfahrung des Betrachtenden immer neue Assoziationsketten auslösen können. Da aber liegen die Optionen der Bilder des Künstlers. Unter der Differenziertheit der Oberflächen entdeckt der Betrachter durchgestaltete, variationsreiche und schimmernde Gestaltungen, bei denen sich die Farbe nicht an die vorgegebene Geometrie hält, sondern bildimmanent neu virulent wird. Diese Vielfältigkeit liebt der Künstler, er macht sie sich zu eigen, und verhindert somit stilistische Bindungen, Einseitigkeiten, die das Oeuvre belasten oder auch befreien könnten. Kurz, er macht es sich nicht einfach. Das Glasperlenspiel ist eine ernste Disziplin. So kann er auch Malerei in Spiegelungen überführen, in Rauminstallationen, in denen Bewegungsabläufe formaler, räumlicher und farbiger Erfahrungen gemacht werden können. Das Spiel sucht das Spiegelkabinett.

So werden aus Bildern begehbare Spiegelobjekte und optische Apparate. Das Bild geriert zum Spiegelbild. Sich verändernde Farbvariationen definieren einen Bildbegriff, der zugleich sich als Begriffsbild versteht. Eine artifizielle innere Malerei entwirft das einsehbare Bild der sichtbaren Welt. Wondrusch erfüllt in seiner Vorstellungskraft einen unendlichen, veränderlichen Prozess. Er entwirft ein Augenlabyrinth, das sich als Seelenlabyrinth zeigt. So wird Objektives zu Metaphysischem, das Sehen nach einer Idee ausgerichtet, um eineDimensionsbefreiung zu betreiben, in der die Idee eines Bildes, die prima idea - die erste Idee, wie es dieRenaissance nennt - als ein Urtrieb aufgezeigt wird, der das Bild zu Dir, das Ich zum Bild werden lässt.

Die Chaostheorie ist eine mögliche Erklärung, um von außen in eine innere Gestaltung hinein zu denken,um Phänomene und Logistik zu erklären, die systemimmanent verborgen bleiben. In den Bildern von Wondruschspielt die Chaostheorie eine große Rolle. Nicht, weil es ihm um Ordnung und Chaos geht - sie sind Metapher,sondern weil die Bilder ihre Störungen von außen empfangen. Es sind jene Störungen der Bildoberfläche, diedas geometrische Prinzip verlebendigen, in Frage stellen und neu zu definieren, um es beizubehalten undzugleich ad absurdum zu führen. Wondrusch zeigt den geregelten Gang auf - er weiß, dass er sich sozusagen imKreis dreht - um von außen Positionen zu erarbeiten, die innerhalb der Kreisspirale eine neue Wirkung zeigen.Oder er bricht aus in die Spiegelwelt, oder er verlagert seine Eruptionen der Gedanken in fast tachistisch anmu-tende kräftige farbige Bilder.

Wondrusch malt Bilder, die in der Reproduktion unendlich groß aussehen, in Wahrheit aber sehr gewohnteFormate beinhalten. Er zwingt seine Gedanken in Bildwelten, die der Größe ihrer Imagination nicht entsprechen.Deshalb braucht der Künstler den Ausflug von der Malerei in die Spiegel und ihre Welt der Unendlichkeit. DieBilder selbst haben diesen Eindruck des Monumentalen, sie tragen die Vergrößerung in sich, sind aber nur imkleineren Format ablesbar. Damit zwingt er den Betrachter in eine intellektuelle Position. Er kann nicht einfachemotional reagieren, aufschreien oder verwerfen. Er muss, wenn er dem Bilde folgt, den Gedanken des Malersnachspüren. Er muss an sich selbst arbeiten, sich verfeinern, die Nuancen des Werkes wahrnehmen, um zuerkennen, das Kunst bzw. Kultur eine Möglichkeit ist, mit der er sich selbst besser erkennen kann, ohne einenWiderstand in sich selbst zu brechen.

Hier zeigt sich erneut das dualistische Prinzip des Künstlers. Er stellt Prinzipien auf, formuliert sie, weil ersie durchdacht hat, um sie expressiv zu vermitteln. Damit wird seine Kunst zu einer Metapher unseres Lebens.Das Pendeln zwischen Erkenntnis und psychischen Bedürfnissen, zwischen elementarem Wissen und psychischer Erfahrbarkeit werden zu Zeugnissen einer Welterfahrung, die grundsätzlich positiv eingestimmt ist. DasChaos könnte nihilistische Vorstellungen hervorrufen, die Ordnung den faschistischen Zwang. Beides hebt sichauf, wird leicht: doch nicht Spiel, sondern Verbindlichkeit menschlichen Denkens durch Sehen.

Dr. Dieter Ronte
Museum moderner Kunst Bonn, Juli 2002